Na, das wäre ja auch zu viel des Guten gewesen. Nach zwei sonnigen und warmen Tagen Ende September (!) in Mainz geht es heute mit dem Rad weiter nach Bonn, und pünktlich zur Abfahrt sind die Temperaturen gesunken. Glücklicherweise noch nicht wirklich auf Oktober-Niveau, aber kühl genug, um den heutigen Tag mit langer Radhose in Angriff zu nehmen.

Ein Morgen am Oberrhein

Auch wenn der Titel dieses Posts es suggeriert, werde ich heute nicht an der Nahe entlangfahren. Aber zumindest werde ich sie an ihrer Mündung in Bingen überqueren. Und bis dorthin bewege ich mich am Oberrhein, dem insgesamt 360 Kilometer langen Abschnitt dieses urdeutschen Flusses zwischen Basel und Bingen. Da ich diesen Teil vor drei Tagen schon in der anderen Richtung gefahren bin, weiß ich, was mich erwartet: Hauptverkehrsstraßen, Gewerbegebiete, Schrebergärten. Und ein bisschen Radweg am Fluss. Daher spule ich diese langweiligen Kilometer auch recht schnell ab. Interessanterweise (deshalb, weil wir schon Oktober haben) kommen mir unterwegs sogar ein paar Reiseradler entgegen, und man grüßt sich natürlich. Radfahrer im allgemeinen grüße ich mittlerweile nicht mehr, denn dank des E-Bike Trends weiß man ja gar nicht mehr, ob man nun einen Radfahrer oder so einen Elektro-Fuzzy vor sich hat. Und von letzteren gibt es eine ganze Menge…

Sonne und Schauer bis Koblenz

Mit der Ankunft in Bingen bessert sich das Wetter, und das sich nun anschließende Mittelrheintal zeigt sich – zunächst – von seiner schönsten Seite. Der Radweg liegt hier meist zwischen Bahndamm und Flussufer, wo die Auenwälder und die Aussicht auf Burgen und Schlösser oft genug zu einer Rast einladen. Zu oft eigentlich, denn obwohl ja der Genuss an erster Stelle steht, muss ich heute auch noch in Bonn ankommen, und das sind insgesamt immerhin knapp 180 Kilometer. Dennoch genieße ich das Pedalieren, das Surren der Räder, den Wind um die Nase, und die wärmenden Sonnenstrahlen. Etwa ab Oberwesel ist die Straße, an der der Radweg jetzt entlangführt, feucht von einem Schauer, der kurz vorher hier durchgezogen sein muss. So bleibt es eine Zeitlang, bis es mich in St. Goar dann doch erwischt. Nass werde ich aber kaum, da ich es schaffe, mich schnell unterzustellen. Und die erzwungene Pause muss man halt akzeptieren. Und nach nicht einmal einer halben Stunde ist der Spuk auch schon wieder vorbei, und es geht weiter.

Früher (so vor 25 Jahren etwa) musste man vor Koblenz noch auf die Hauptstraßen ausweichen, mittlerweile liegt der Radweg jedoch so, dass man relativ unkompliziert in den weitläufigen Park am Rheinufer gelangt, der einen am Kurfürstlichen Schloss und am Preußischen Regierungsgebäude vorbei über die Promenade bis zum Deutschen Eck leitet. Bei meinem ersten Besuch per Fahrrad am Deutschen Eck 1991 gab es hier nur den Sockel des im Krieg zerstörten Reiterstandbilds von Wilhelm I. zu bewundern, bevor zwei Jahre später eine Nachbildung auf dem Sockel angebracht wurde. Viel ist hier heute nicht los; klar, wir haben Montag, Oktober, und eher mäßiges Wetter. Ich gönne mir jedoch auch hier eine Pause mitsamt Fotosession, bevor ich die letzten 60 Kilometer nach Bonn in Angriff nehme.

Fahrt in die Dunkelheit

Für 60 Kilometer rechne ich normal drei Stunden (zumindest, wenn ich in erster Linie ankommen will); als ich weiterfahre, weiß ich noch nicht, dass es dank Gegenwind, einsetzender Dunkelheit und nachlassender Kräfte heute fünf Stunden bis Bonn werden sollen. Zwischen Koblenz und Bonn ist der Radweg sehr variabel, teilweise fährt man auf malerischen Wirtschaftswegen nahe am Fluss, teilweile muss man über Hauptstraßen, um Hafenbecken und Industrieanlagen auszuweichen. Bevor ich in Bad Breisig bin, ist es dunkel, und in Remagen tauchen plötzlich bewegliche Hindernisse in Form von (unbeleuchteten) Hundehaltern auf dem Radweg auf. Die mir dann natürlich mit gerufenen Flüchen die Schuld dafür geben, dass ihre nicht angeleinten Köter hinter mir her rennen. Und ernsthaft verlangen, ich solle klingeln. Dass ich sie nachts in ihren dunkelbraunen Jacken trotz meines Scheinwerfers kaum sehen kann und dann eher in letzter Sekunde ausweiche statt zu klingeln, kommt ihnen wohl nicht in den Sinn.

Aber auch Nachtfahrten am Rhein haben ihren Reiz. Es ist irgendwie wie bei einem Nachttauchgang, bei dem man gänzlich andere Tiere sieht wie tagsüber. Auch am Rhein ist nachts eine andere Fauna unterwegs. Keine Elektroradfahrer und Kinderwagenmütter mehr, sondern einsame Jogger oder junge Pärchen. Dazu die beleuchteten Bauwerke an beiden Flussufern, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelnden Lichter… ja, ich kann diese letzten Kilometer im Dunkeln irgendwie auch genießen. Trotzdem bin ich froh, um halb zehn in Bonn anzukommen, wo mir Annette, meine Ex-Nachbarin und Gastgeberin für die nächsten Tage, erstmal einen Aufwärm-Whisky hinstellt.

Danach geht’s mir besser.