Die Crew ist wieder komplett – zumindest zahlenmäßig. Nachdem unsere drei Biskaya-Gefährten Dieter, Wlad und Urs von Bord gegangen sowie Marc, Markus und Roland zugestiegen sind, ist seit gestern auch wieder Jan, unser Original-Skipper, mit von der Partie. Das letzteres nicht nur Vorteile hat, dazu kommen wir gleich noch.

Auslaufen mit Hindernissen

Markus im Bootsmannstuhl
Markus im Bootsmannstuhl

Aus Fehlern lernt man. Daher haben wir unser Dinghi dieses Mal wirklich bombenfest am Davit (für Nichtsegler: eine Haltevorrichtung hinter dem Heck für das Beiboot) verzurrt. Die neuen Crewmitglieder haben ihre Boots- und Sicherheitseinweisung erhalten, und wenn jetzt nicht das Großfall halb um den Mast gewickelt wäre, könnte es losgehen. Das passiert schonmal als Folge des Windes bei eingepacktem Großsegel, da das Fall immer ein bißchen Spiel hat. Nachdem gefühlt die halbe Mannschaft auf den Baum geklettert ist und durch Ziehen und Schwingen am Fall versucht hat, dieses zu befreien, kommt dann doch der Bootsmannstuhl zum Einsatz. Die Befreiung des Falls ist damit kein Problem, und zudem kommt Markus auch noch zu einer wunderbaren Aussicht aus luftiger Höhe am Mast.

Cascais vor unserer Abfahrt
Cascais vor unserer Abfahrt

Aber das nächste Problem wartet schon bei der Anfahrt zum Tanksteg. Natürlich fällt der Backbordmotor mal wieder aus, und (natürlich) mit mir am Steuer. Klar. Da der Rest der Mannschaft mit Fendern, Leinen und Sonstigem beschäftigt ist, klettert Jan ruckzuck in den Motorraum mit den Sicherungen… und zieht erstmal die falsche raus. Wer mag’s ihm verdenken, wissen doch nur Peter, Günter und ich, dass die Backbord-Sicherung RECHTS von der Steuerbord-Sicherung sitzt. Damit haben wir dann gar keinen Motor mehr, und treiben munter mit 27 Tonnen unterm Hintern in der Hafeneinfahrt von Cascais rum. Noch vor einer Panikattacke meinerseits bemerkt Jan sein Missgeschick, und kurz darauf ist auch der Steuerbordmotor wieder an. Damit können wir dann einigermaßen sicher anlegen und im Anschluß unsere Dieseltanks befüllen.

Gegen 10 Uhr kann es dann wirklich losgehen. Bei 15 bis 20 Knoten Wind sind Großsegel und Genua oben, kaum dass wir den Hafenbereich verlassen haben. Na, das läßt sich jetzt doch mal gut an, im Vergleich mit den Abfahrten aus Santander oder A Coruña. Zu Beginn müssen wir noch ein paar Frachter umsegeln, wobei mir auch bereits die Positions-Ungenauigkeiten des AIS (Automatic Identification System. Zeichnet unter anderem die Position anderer Schiffe in die elektronische Seekarte) klar werden. Also lieber ein bißchen mehr Abstand halten. Aber dann nehmen wir direkten Kurs auf Lanzarote, die nördlichste der großen Kanaren-Inseln. Nun liegen etwa 650 Seemeilen offene See vor uns, die wir in fünf oder sechs Tagen hinter uns bringen sollten. Zeit zu relaxen und sich mental aufs Hochsee-Segeln einzustellen.

Alltag auf See

Für die Wachen haben wir Zweier-Teams vereinbart, und da wir momentan zu siebt sind, können wir es uns leisten, jeweils eine Person für einen Tag freizustellen. Das bedeutet, dass diese Person dann zum Beispiel für’s Kochen oder auch andere Wartungsaufgaben zuständig ist. Andererseits bedeutet es auch, dass die Zweier-Teams täglich wechseln. Und auch wenn keine Segelneulinge an Bord sind, bemühen wir uns ein wenig, Leute von der Biskaya-Crew mit den Neuankömmlingen zu kombinieren, oder Leute mir unterschiedlichem Erfahrungsstand.

Ich darf zunächst ein paar Wachen mit Roland teilen, einem humorvollen und sympathischen Österreicher. Und stelle erstaunt fest, wie sich der Körper (in diesem Fall meiner) durch die bereits durchgemachten Etappen an das Geschaukel des Bootes gewöhnt hat. Während ich mich mittlerweile relativ natürlich an Bord bewege, geht es Roland erstmal gar nicht gut, er verbringt einige Zeit am rechten Ende der Flybridge, einen schwarzen Eimer in seiner Nähe. Und während in der Küche am Abendessen gewerkelt wird und allen schon das Wasser im Munde zusammenläuft, hört man von Roland nur den sich zum geflügelten Wort entwickelnden Satz „Esst’s ihr. I brauch nix.“ Ich darf allerdings schon vorwegnehmen, dass bis Lanzarote die gesamte Crew seefest sein wird.

Die Freude über den guten Wind hält nicht lange an. Schon am ersten Tag abends wird es weniger, und wir fahren die nächsten anderthalb Tage mal nur mit Großsegel und einem Motor, und mal mit beiden Segeln. Und danach… ist der Wind dann erstmal ganz weg. Spiegelglatte See, das sieht aus wie ein Schwimmbecken da draußen.

Flaute auf hoher See
Flaute auf hoher See

Durch die fehlende Arbeit an den Segeln werden die Wachen natürlich auch ruhiger, und wir haben Zeit, es uns an Bord richtig gemütlich zu machen. Einige kramen Bücher oder ihre Musiksammlung auf dem Handy hervor, während ich mich von Jan in der Benutzung eines Sextanten instruieren lasse. Das funktioniert auch recht gut, nur bei den Formeln zur Berechnung der Position mache ich irgendetwas falsch und verorte uns irgendwo in Afrika. Halb so wild, auf das Prinzip kommt es an, und ich nehme mir vor, im späteren Verlauf der Reise oder spätestens zu Hause mir das Ganze nochmal genauer anzuschauen.

Das ruhige und sonnige Wetter lädt darüberhinaus auch geradewegs dazu ein, es sich in der Lounge-Area vor dem Cockpit gemütlich zu machen. Keiner kann sich hier mehr vorstellen, dass ein Aufenthalt da vorne noch vor ein paar Tagen lebensgefährlich gewesen wäre. Von Gemütlichkeit ganz zu schweigen. Aber jetzt sieht man hin und wieder den ein oder anderen aus der Crew, der es sich auf den Polstern mit einem kühlen Bier in der Hand gemütlich macht und den lieben Gott einen guten Mann sein lässt.

Ankunft am Rubikon

Die Costa del Rubicón ist der Name einer Landschaft im Süden von Lanzarote. Ob dieser Name von den rötlich (lat. rubicundus) erscheinenden Vulkanbergen oder doch von dem italienischen Fluss stammt, nach dessen Überschreitung es kein Zurück mehr gibt, darüber streiten sich die Gelehrten. Ich persönlich finde die zweite Erklärung interessanter. Die Marina nahe des Ortes Playa Blanca, in die wir einlaufen werden, heißt auch Marina Rubicón, und mir gefällt die Idee, zu sagen, sobald man diese Marina Richtung Südwesten verlassen hat, gibt es kein Zurück mehr auf der angehenden Atlantik-Überquerung.

Am Morgen des fünften Tages auf See kommen die Kanaren in Sicht. Dabei fühlt man sich schon fast wie angekommen. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass wir noch den ganzen Tag unterwegs sein werden, bevor wir mit der untergehenden Sonne in die Marina einlaufen. Wir segeln zwischen La Graciosa und Lanzarote durch, und im Anschluss staune ich über die Ödnis der Vulkanlandschaft im Westen von Lanzarote. Als es vor dem Einlaufen ans Einholen des Großsegels geht, meint Jan „Seid ihr bereit? Es geht schnell…“ Dann öffnet er die Klemme des Großfalls, und das Segel saust nach unten, bevor irgendjemand reagieren kann. Nun, danach werden die Reffleinen sortiert, und Peter kommentiert lediglich, dass man das Groß idealerweise durch langsames Fieren des Falls einholen sollte…

Hafenkneipe in der Marina Rubicón
Hafenkneipe in der Marina Rubicón

Dieses Mal ist Marc an der Reihe, unsere Ketoupa am Empfangssteg anzulegen, während ich mich um die Organisation der Festmacherleinen kümmere. Das Ganze Manöver läuft zwar noch nicht wie bei alten Hasen, aber es kommt niemand zu Schaden, und wir blamieren uns auch nicht vor den Besuchern der Hafenkneipe, die sich just oberhalb des Stegs befindet. Und während sich der Rest der Crew schon wieder ein paar Biere gönnt, kümmere ich mich, dank meiner Spanisch-Kenntnisse, um die Einklarierung. Kurz darauf bekommen wir unseren endgültigen Liegeplatz für die nächsten zwei Nächte zugewiesen, und damit kommt die erste wirklich lange (und auch wirklich schöne) Hochseeetappe dieses Törns zu ihrem Ende.