Endlich lassen wir die Marina, in der wir uns mehr und mehr wie in einem Gefängnis gefühlt haben, hinter uns. Obwohl… so schlimm war es dort eigentlich gar nicht. Wir haben alle ausreichend Schlaf gefunden, und an die Frühstücke mit Wlad’s Tortillas und musikalischer Untermalung von Peter Cornelius („Der Kaffee ist fertig“) werde ich noch lange denken.

Während wir in der Bucht von Santander Richtung Norden fahren, machen wir das Boot hochseefest. Das heisst, ich stehe am Ruder und die anderen kümmern sich um die Kleinigkeiten, die bei Seegang schiefgehen könnten. Für die Kühlschranktür haben wir mittlerweile eine brauchbare Lösung gefunden, die ohne Panzerband auskommt, und auch sonst ist wohl alles etwas besser verstaut als bei unserer Abfahrt aus Port Royan.

Dann nähern wir uns der offenen See. Angst habe ich eigentlich keine, auch da Peter mir versichert, dass der Katamaran aureichend Sicherheitsreserven hat. Aber Respekt schon, alleine durch die sich brechenden, mehrere Meter hohen Wellen in der Einfahrt der Bucht. „Versuch zunächst, immer im rechten Winkel zu den Wellen zu fahren“ sagt Peter. Kein Problem, selbst wenn es uns erstmal einen kleinen Umweg Richtung Nordosten abverlangt und wir sowieso alle lieber früher als später im nächsten Zielhafen einlaufen würden. Auf der offenen See geht sofort die Stampferei des Bugs wieder los, allerdings komme ich (das heisst mein Magen) heute deutlich besser damit zurecht als noch auf der ersten Biskaya-Etappe.

Irgendwann drehen wir ab Richtung Westen. Dadurch werden die Bewegungen nur unwesentlich angenehmer, denn wir haben starken Nordwestwind und, gelinde gesagt, ein Sauwetter. An Segeln ist hierbei nicht zu denken. Zumindest für uns, wir sind schließlich keine Profis. Die ersten denken schon an ihr begrenztes Reisebudget, denn wenn man viel unter Motor fährt, strapaziert das natürlich spätestens an der nächsten Tankstelle die Bordkasse mehr, als es uns lieb ist.

Reif für die (Rettungs-) Insel

Ich stehe immer noch am Ruder, als ich dicht hinter unserem Heck ein Blinklicht etdecke. Dazu gehört eine unserer Rettungsinseln. „Haben die ersten schon die Schnauze voll?“ frage ich mich, während ich auskuppele. Wir hatten in Bordeaux zwei Rettungsinseln mitgenommen. Die kleinere davon, welche unter dem Heck befestigt war, hat sich bei dem Wellenschlag offenbar gelöst und durch den Fall ins Wasser aufgeblasen, und hängt nun am Seil hintendran. Wie ein Treibanker. Als dann durch eine große Welle auch noch das linke Heck der Ketoupa auf die Insel schlägt und sie unter Wasser drückt, läuft erstmal eine halbe Tonne Seewasser rein, so dass sämtliche folgenden Versuche, sie an Bord zu hieven, vergeblich sind.

Dieter steht derweil auf der Hecktreppe bis zu den Knien im Wasser, und auch der Rest der Crew fühlt sich in der Situation gar nicht wohl. Peter entscheidet irgendwann, das Tau zu kappen. Dann ist der Streß vorbei, aber leider auch eine Rettungsinsel weg. Im folgenden bewegen sich die Gedanken um die möglicherweise auf uns zukommenden Kosten für ihren Ersatz, aber auch um die erfolglosen Versuche, die spanische Küstenwache darüber zu informieren, dass hier niemand in Seenot geraten ist. Na, irgendwann wird das gute Stück sicher irgendwo anlanden.

Im Vorfeld hat man uns erzählt, dass die Marina in Gijon in Zentrumsnähe liege, und dort das Hafenleben um einiges interessanter wäre als in der abgelegenen Marina del Cantabrico. Dennoch – und trotz der widrigen Bedingungen – lassen wir Gijon links liegen und fahren in einem Schlag durch bis nach A Coruña. Viel passiert auf dem Rest dieser Überfahrt nicht mehr, aber einige zweifelhafte „Freuden“ des Seefahrerlebens sollen nicht unerwähnt bleiben.

Nachtwachen

Zum einen fehlen mir Gummistiefel – ich habe nur ein paar leichte Bordschuhe und Neoprenfüßlinge dabei. In ersteren sind die Füße schnell nass und sehr kalt, in letzteren nur nass und „ziemlich kalt“. Das macht meine Nachtwachen nach spätestens zwei Stunden eher unangenehm. Ach ja, die Nachtwachen… Bei den Bewegungen und den Geräuschen, die unsere Ketoupa von sich gibt, schläft man in seiner Freiwache nicht sehr gut, und ohne Ohrenstöpsel wäre es wohl vollkommen unmöglich. Irgendwann klingelt der Wecker, und dann darf man (mitunter um zwei Uhr morgens) aus dem Schlafsack in mehrere Lagen warme und wasserdichte Klamotten schlüpfen. Darüber kommen die Rettungsweste und der Lifebelt. Dieses Prozedere dauert durchaus ein paar Minuten, je nachdem, wie seekrank man ist und wie wiele Pausen man währens des Ankleidens machen muss.

Nach dem Verlassen der Kabine hakt man sich mit dem Lifebelt in einer Leine ein, die aus dem Cockpit auf die Flybridge geführt ist, bevor man auf allen Vieren (an aufrechtes Gehen ist bei dem Seegang nicht zu denken) die Treppe zur Flybridge hochkriecht. Dort sichert man sich, und dann hofft man, dass in den folgenden drei Stunden der Nachtwache nichts passiert. Nun haben wir zwar Zweierteams vereinbart, aber getreu dem Motto „Reicht ja, wenn einer leidet“ verzieht sich der zweite Mann meist recht bald ins Cockpit, und dann tauscht man zur Hälfte der Schicht.

Da wir unter Motor fahren, gibt es glücklicherweise auch nicht wirklich viel zu tun. Das Schiff auf Kurs halten und hin und wieder einem Frachter ausweichen, damit ist es dann schon fast getan. Hierbei hat man auf der Brücke aber um sich herum nichts als schwarze Nacht und hohe Wellen. Wer von Bord fällt, ist tot. Punkt. Selbst tagsüber wäre eine Rettung eher unwahrscheinlich. Gegen Mitternacht fährt auf unserer Steuerbordseite ein Frachter. Der verschwindet auf einmal im Nichts, Peter sagt nur „Welle“, und dann setzt es einen Schlag von unten rechts, der mich fast von den Beinen holt. Wie froh bin ich doch, angeleint zu sein. Wlad kämpft derweil nach wie vor mit Seekrankheit. Ich kann sie nur vermeiden, indem ich mich nach getaner Arbeit quer in meine Längskoje lege – auf diese Art kommt mein Körper offenbar besser mit den Schiffsbewegungen zurecht.

Denn auch wenn ich meinen Mageninhalt nicht mehr ins Cockpit, ähem, ergieße, so bin ich doch noch nicht voll über die Seekrankheit hinweg. In den eineinhalb Tagen nach der Abfahrt in Santander esse und trinke ich dementsprechend wenig, so dass ich spätestens am zweiten Abend mit Krämpfen und anderen Dehydrierungs-Erscheinungen zu kämpfen habe. Also versuche ich mich hin und wieder an ein paar Keksen und Wasser, und letztendlich funktioniert das auch. Wie gesagt, Wlad geht es schlechter.

Erst am Nachmittag des zweiten Tages kommt ein wenig die Sonne raus und blauer Himmel zum Vorschein. Dass zwischenzeitlich mal wieder der Backbordmotor ausgefallen ist, und das Anlegen in A Coruña nachts um halb zwei mit nur einem Motor ein ziemliches Abenteuer wird, ist nach den Erlebnissen der bisherigen Überfahrt eigentlich kaum noch der Erwähnung wert. Und trotz der um diese Uhrzeit nicht unerwarteten Müdigkeit gibt es noch ein paar Manöverschlucke. Die Biskaya liegt hinter uns, das ist das was zählt.