Vor etwa neun Monaten, als ich Jan das erste Mal wegen der Atlantiküberquerung kontaktiert hatte, wurde recht schnell klar, warum der Törn in zwei Etappen angeboten wird. Die erste, über die Biskaya nach Madeira, ist seglerisch anspruchsvoll, zumal im November. Und die zweite, ab Madeira, ist halt die bereits erwähnte Barfußroute, die nicht umsonst so heißt. Und obwohl mein Hauptaugenmerk auf der zweiten Etappe lag (und liegt), habe ich mich doch dafür entschieden, ab Bordeaux dabei zu sein. Der Grund hierfür ist simpel: Übernahme eines Bootes, Verproviantierung, unerwartete Startprobleme, … Es gibt einfach eine Menge Bereiche, in denen ich etwas lernen kann, wenn ich von Beginn an dabei bin. Und, wie bereits erwähnt, will ich auf diesem Törn vor allem etwas lernen und Erfahrungen sammeln.

Ein letztes Frühstück

Was es genau bedeuten kann, die Biskaya zu überqueren, wird mir in den kommenden 24 Stunden klar. Ich war bei vorherigen Segeltörns schonmal leicht seekrank, aber ich konnte immer alles „bei mir behalten“, und nach ein bis zwei Tagen ging es mir auch immer wieder gut.

Wir laufen am frühen Morgen bei ablaufendem Gezeitenstrom aus Port Royan aus. Auf der Biskaya erwarten uns Wind und Wellen aus Nordwesten. Das bedeutet, wie Peter sich immer so schon ausdrückt, dass „Wind, Wellen und Strom nicht zueinander passen.“ Und das merken wir. Der Strom schiebt uns aus der Gironde-Mündung, wir knallen in die Wellen aus Nordwest, und der Kat fängt an zu stampfen, wie ich es noch nicht erlebt habe.

Am Anfang geht es mir noch gut. Ein ordentliches Frühstück, Kaffee hinterher, man soll ja positiv seinen Tag beginnen. Nach etwa zwei Stunden geht es los. Langsam wird der Hals trocken, und als ich anfange zu schwitzen, ist es schon fast zu spät. Ich habe meine Rettungsweste noch nicht an und wage mich daher bei den momentanen Bootsbewegungen auch nicht an die Reling. Ich werfe mich auf das Sitzpolster im Backbordbereich des Cockpits, und dann kommt das gesamte Frühstück einfach wieder raus. Und wohl noch ein bisschen mehr. Damit habe ich dann den letzten Meter des Cockpits eingesaut. Ich denke, wenn ich dem Rest der Crew sage, dass ich es saubermache, sobald es mir besser geht, wird es schon okay sein.

Ich bin nicht der Einzige. Jan und Dieter sind alte Seebären, die sind immun. Ebenso Günter. „4x seekrank“ wird später im Logbuch stehen. Diese vier erwischt es unterschiedlich schwer. Interessanterweise ist Urs zwischen den Kotzattacken immer voll einsatzfähig, was sich am folgenden Tag noch als sehr wichtig herausstellen wird. Wlad andererseits erwischt es noch viel schlimmer als mich.

Schadensbegrenzung

Und auch das Schiff leidet. Der Herd verweigert den Dienst, bis Urs und Peter ihn aus seiner Halterung nehmen und die Gasleitungen etwas anders verlegen. Deckenverkleidungen sowie andere Teile lösen sich von ihren Befestigungen und fliegen durch die Gegend. Eine dieser Verkleidungen in Dieters Kabine zerschlägt beim Fallen den Klodeckel. Ich habe derweil genug mit mir selbst zu tun, und vertraue voll darauf, dass die aktuelle Wachmannschaft sowie der Skipper alles im Griff haben. Uns wird schnell klar, dass dieser Kat vielleicht in der Karibik eine Menge Komfort bietet, aber leider nicht für die momentanen Bewegungen in der Biskaya gebaut ist.

Während ich im Salon sitze und mich elend fühle, geht auf einmal der Kühlschrank auf. Ich springe hoch, versuche die Situation zu erfassen, und schiebe mit beiden Händen die Schinkenpakete und Joghurts wieder nach hinten. Dass ich hier im Moment fünf Hände bräuchte, wird mir klar, als die Creme fraiche an meinem Ohr vorbeifliegt und irgendwo hinter mir im Salon detoniert. „Tape, sofort!“ schreie ich. Irgendwer hinter mir hat das Panzerband griffbereit. Ich schließe den Kühlschrank und klebe drei Streifen Panzerband über die Tür. Das sollte reichen, bis wir aus dem Gröbsten raus sind. Ähnlich verfahre ich mit einer Tür im Cockpit, hinter der sich eine Gasflasche und diverses Werkzeug befinden. Bis es mich wieder auf das Cockpitpolster knallt, weil der Magen feststellt, dass er noch nicht leer ist.

Nach ein paar Stunden beruhigt sich die See etwas. Mein Magen auch, da ich von 12 bis 16 Uhr mit Wlad die Wache habe: die Flybridge über dem Cockpit ermöglicht einen Rundumblick auf den Horizont, und dessen Anblick hilft bei Seekrankheit bekanntermaßen. Allerdings merke ich jetzt die Nebenwirkung der (letztendlich nutzlosen) Tablette, die mir Jan morgens gegeben hatte, und hänge da oben eher im Halbschlaf rum als das ich irgendetwas Sinnvolles tue. Und dass in dieser Zeit noch eine Kaffetasse und ein Paket Honigkuchen durchs Cockpit fliegen, kann ich letztendlich auch nicht verhindern.

Es gibt im Prinzip genau zwei Positionen im Schiff, die ich im Moment ertragen kann. Sitzend auf der Brücke, den Horizont im Blick, oder quer zur Fahrtrichtung in meiner Koje liegend. Alles dazwischen ist schwierig, so auch das Anlegen der Rettungsweste in der Kabine, wobei es mich nochmal in die Nasszelle zur Magenentleerung treibt. Meine Nachtwache zwischen 0 und 3 Uhr meistere ich eigentlich ganz gut, wir segeln sogar. Danach gönne ich mir allerdings eine lange Auszeit bis Montag mittag, und als ich mich danach in den Salon begebe und ein paar Kekse esse, denke ich, es kann nur besser werden.

Notlandung in Santander

„Wir hatten übrigens einen Wassereinbruch, und der Backbordmotor geht auch nicht mehr.“ eröffnet mir plötzlich Jan, so als ob das normal sei. Beides zusammen hat den Skipper zu einer Kursänderung nach Santander bewogen. Die Ursache für den Wassereinbruch ist mittlerweile behoben (eine nicht verriegelte Luke in der Backbord-Piek), seine Folgen noch nicht abzuschätzen – es gluckert momentan unter den Bodenbrettern im Backbordbug munter vor sich hin, und die Bilgepumpe läuft auf Hochtouren.

Santander hat genau genommen zwei Marinas. In der Marina in Innenstadtnähe gibt es keine Plätze für Besucher, wir fahren also direkt in die ein paar Seemeilen landeinwärts gelegene Marina de Cantábrico am Flughafen. Das gibt ein bisschen mehr Zeit zum Lenzen, und als wir in die Nähe der Marina kommen, haben wir das Wasser aus der Vorpiek schon fast wieder raus.

Die Ketoupa am Tanksteg der Marina del Cantábrico (Foto © Wlad Schwarz)
Die Ketoupa am Tanksteg der Marina del Cantábrico

Das Anlegemanöver am Tanksteg fährt diesmal Günter, und mit nur einem Motor sieht die Sache schon ganz anders aus als wenn man mit den beiden Motoren steuern kann. Ich bekommen den Kugelfender nicht rechtzeitig hinters Heck, es kracht, und schon has das Gelcoat eine Macke. Naja, sei’s drum, wir haben momentan größere Probleme. Denn jetzt kommt erstmal ein netter Herr zum Boot und erklärt uns, dass wir an seinem Tanksteg nicht bleiben können. Und auch der Hafenmeister lässt nicht lange auf sich warten. Mit meinem Spanisch kann ich die Situation erklären und entschärfen. Jan muss im Schlauchboot mit zum Einklarieren, eine Nacht am Tanksteg gesteht man uns zu, und für den nächsten Tag wird auch direkt ein Techniker bestellt, um sich um den ausgefallenen Motor zu kümmern.

Am Abend ist die Stimmung logischerweise etwas bedrückt. Gegessen wird trotzdem gut, Steak und Bratkartoffeln, dazu kaltes Bier. Und Wlad macht wahrscheinlich das einzig richtige, als er sich für einen kleinen Spaziergang entscheidet. Manchmal muss man das Boot auch einfach mal verlassen, um nicht ständig an die mittlerweile doch ernsten Probleme, die wir mit diesem nagelneuen Kat haben, denken zu müssen.